DIE HISTORIE DES TREPPENBAUS – AUF DEN SPUREN DER HANDWERKSKUNST

Treppen sind eine der ältesten Bauelemente in der Architekturgeschichte. Ihre Entstehungszeit genau zu datieren, gestaltet sich jedoch schwierig.

Treppenkonstruktionen verändern sich stetig mit den architektonischen Zeitaltern und spiegeln die vorherrschende Weltanschauung und symbolische Ausdrucksweise der jeweiligen Zeit wieder. Unabhängig von der Epoche, bringt der Treppenbau aber sowohl Talent als auch Einfallsreichtum seiner Erbauer zum Vorschein.

TREPPEN ALS ARCHITEKTONISCHE MEISTERWERKE

Unter allen Architekturelementen nehmen Treppen eine Sonderstellung ein. Sie können ein Gebäude, dessen Teil sie sind, gänzlich in den Schatten stellen – was sie in der Tat auch sehr oft tun. Sei es in der Vergangenheit oder Gegenwart, manche kunstvolle Treppe ist unter Aufbietung aller Fantasie gebaut worden. Mal begeistert uns das technische Know-how, dann wieder das äußere Erscheinungsbild, die Form, die Materialien oder die spezifische Bauart. Treppen gehören ebenso unabdingbar zu unserem Alltag, wie ein herausragendes Ereignis oder eine unvergessliche Erfahrung.

Treppen entsprechen meist dem Gesellschaftstyp, für den sie gebaut worden sind und informieren uns unter anderem über den Stand von Kunst, Mode und Technik. Sie können Wahrzeichen und Erkennungsmerkmale einer fortwährenden Inspirationsquelle sein, sowie einer endlosen Geschichte.

Noch heute können wir einige der frühesten Treppen in ihrer ursprünglichen Pracht besichtigen und bewundern. Gewöhnlich führten Treppen zu einem sehr hohen Punkt und sollten uns die Erlangung der Gipfelspitze, wie zum Beispiel des Olymps, erleichtern. Wie sonst hätte man derart hoch gelegene Ziele erreichen können, wenn nicht über endlose Stufen?

TREPPENBAU ALS NOTWENDIGKEIT

Der ursprüngliche Hauptgrund für die Entwicklung von Treppen war die Notwendigkeit, schwierige, differierende Geländehöhen möglichst bequem zu überwinden. Die Gesteinsformation der Erde bietet uns Hügel und Täler, steile Felswände und seichte Wasserrinnen, Hänge und Ebenen, die selbst der Urmensch erforschen, bezwingen und entdecken wollte. Die ersten Elemente der späteren konstruktiven Treppe können auf die hangauf- und -abwärts ausgetretenen Fußabdrücke zurückzuführen sein, aus denen im Laufe der Zeit prähistorische, leichter zu erklimmende Stufen entstanden.

DESIGN IM TREPPENBAU

Die antiken Tempel oder Pyramiden in Ägypten und andernorts waren häufig gestuft. Man könnte meinen, dass die Ästhetik der Treppe selbst als so ausdrucksvoll empfunden wurde, dass die Architekten ihre Form wie besessen einsetzten – und das nicht nur aufgrund des elementaren Konstruktionsprinzips einer gestuften Ebene, die das Ganze zusammenhält.

Die Treppen und Stufen von Pyramiden dürften allgemein in einem sehr viel größeren Zusammenhang stehen, als wir heute entziffern können – gleichwohl rufen die Kunstfertigkeiten und die Größe der Werke unser Erstaunen und unsere Bewunderung hervor.

TREPPEN IM EINKLANG MIT DER NATUR

Im ersten Jahrtausend v. Chr. schnitten die Etrusker in Italien Treppen aus der Erde, die zu Ihren Tempeln und Grabstätten führen sollten. Zweitausend Jahre später schufen die massiven, abgetreppten Terrassen in Machu Picchu (ca. 1550) in Peru ein prächtiges Denkmal. Das Verfahren, an Treppen als Landschaft heranzugehen, findet sich bei der Kathedrale im englischen Wells aus dem dreizehnten Jahrhundert wieder. Sie lädt ihre Besucher ein, über ein wahres Stufenmeer in den Kapitelsaal einzutreten. Etwa vierhundert Jahre später, zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts, entstand die Kaskade in Chatsworth House, Derbyshire England, das wohl schönste und außergewöhnlichste Beispiel landschaftlich gestalteter Stufen.

KUNSTFERTIGKEIT IM TREPPENBAU

Ungefähr zweihundert Jahre früher, in der Renaissance, lag die Betonung im Treppenbau eher auf der Geschicklichkeit des Menschen als den Wundern der Natur. In dieser Periode wurde bei Projekten, die zum einen schwer und materiell und zum anderen leicht und subtil waren, eine außergewöhnliche Kunstfertigkeit angewandt. Nach und nach begannen Künstler, ihre Kreativität in Form von Treppen auszudrücken und dies mit so eindrucksvollen und verschiedenartigen Ergebnissen wie beispielsweise Michelangelos Treppe in der Biblioteca Laurenziana (1524) oder Leonardo da Vincis visionärem Entwurf für eine mechanische Treppe. Auch da Vincis doppelläufige Wendeltreppe entstand während dieser Periode. Ein Beispiel für eine relativ einfach gestaltete Treppe, ist die Treppe im Großen Kreuzgang (1550) im Mosteiro de Cristo in Tomar, eine der wichtigsten historischen Bauten Portugals.

In der Barockzeit hatte die Treppe einen solchen Stellenwert erlangt, dass man sie häufig ebenso wie ein Gebäude baute – entweder als Anbau oder als Haus im Haus. Berninis Wendeltreppe (1638) für den Palazzo Barberini in Rom ist dafür bezeichnend. Die sorgfältige Aneinanderreihung von Formen und Detail sowie auch die spätere Pflege, gehörten zu den Aufgaben der Architekten in diesem Zeitalter.

BEEINDRUCKENDE TREPPENKONSTRUKTIONEN

Als man in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, auf Vorschlag von Johann Wolfgang von Goethe, einen Erweiterungsbau (1803-1805) durch die von Herzogin Anna Amalia gegründete Bibliothek in Weimar errichtete, baute man dort eine beachtliche Wendeltreppe mit einer Spindel aus einer einzigen Eiche ein. Das dabei bekundete Maß an handwerklichem Können übertrifft alle Erwartungen an eine „einfache“ Bibliothek.

Im späteren Verlauf des neunzehnten Jahrhunderts zeigte sich eine noch reichere Palette an künstlerischen und monumentalen Treppen in Wohnhäusern, Opern, Theatern, Rathäusern, Museen und Bahnhöfen. Die allzu theatralischen Qualitäten der in der Pariser Oper von Charles Garnier realisierten Treppe (1875) überdeckten gar ihr Konstruktionsprinzip. Das überwältigende Schauspiel – mit seiner Sinnlichkeit, Maßlosigkeit, Extravaganz und Übertreibung – ließe sich mit den Extremen der späten Barockzeit vergleichen.

Der Dekorativismus gehörte auch zu der schöpferischen Methode des Art-Nouveau-Meisters Victor Horta. Seine weiche, liebliche und fließende Manier scheint sich jedes Material gefügig gemacht zu haben, nicht zuletzt bei der Treppe in seinem eigenen, selbst konzipierten Haus in Brüssel (1898-1900).

HANDWERKSKUNST IM TREPPENBAU

Nur sechs Jahre später, erbaute Henry van de Veldes eine einfache Treppe für die Architekturschule in Weimar. Jene Treppe der Modernen Bewegung, ist ein Beispiel für hervorgehende Ästhetik und ein ungewöhnliches Maß an handwerklichem Können. Er entschied sich bewusst dafür, die Konstruktionsgesetze neu zu definieren und die Exzesse des Jugendstils zu reduzieren.

Die in den dreißiger Jahren weit verbreitete Welle der Begeisterung für neue Materialien und Techniken zeigt sich auch in dem Werk von Auguste Perret für den Wirtschafts- und Sozialrat Paris. Seine dort im Jahr 1937 gebaute Doppeltreppe, ist bemerkenswert gut ausgeführt. In den vorangegangenen sechzig Jahren waren vermehrt Anstrengungen unternommen worden, den Gebrauch von Beton voranzutreiben. Perret setzt dies in seiner eleganten Konstruktion und qualitätvollen Verarbeitung von Beton gekonnt um. Sein bescheidener Entwurf hat zu einer möglicherweise unbeabsichtigten Erhabenheit geführt.

Bei der Diskussion über Treppen des zwanzigsten Jahrhunderts, darf der bemerkenswerte Carlo Scarpa nicht vergessen werden, dessen Laufbahn das halbe Jahrhundert umfasste. Seine für den Friedhof Brion konzipierte Treppe (1970-1972) in San Vito, Italien, dokumentiert vortrefflich seine Fähigkeit, zu einer monumentalen Lösung innerhalb einer sehr begrenzten Materialpalette zu gelangen. Seine gekonnten Licht- und Schattenspiele tragen zu einer exemplarischen Gesamtwirkung bei.

MODERNE MATERIALIEN IM TREPPENBAU

Früher waren bedeutungsvoll aussehende Treppen nur den Reichsten und Mächtigsten vorbehalten. Moderne Materialien ermöglichen es heute, diese mehr Menschen und einer größeren Reihe von Gebäudetypen verfügbar zu machen.

In einem von Charles Vandenhove in Namur (Belgien) entworfenen Wohnhaus spiegelt die elegante, kontrollierte Doppeltreppe die strenge Disziplin wider. Dennoch vermittelt sie auch ein Gefühl von zeitloser Monumentalität.

Eine der bekanntesten Treppen-Silhouetten der Nachkriegsära schuf Oscar Niemeyer für Brasilias Außenministerium: den Palacio Itamaraty (1958). Ohne Handlauf hätte die Treppe die damaligen Sicherheitsvorschriften niemals passiert. Doch vom technischen und architektonischen Standpunkt aus ist sie großartig – repräsentiert sie eine Skulptur, eine Treppe oder eine Variation des Visionärs über das geistige Thema einer Treppe?

Ein Blick auf den Treppenbau der Gegenwart und der jüngsten Vergangenheit zeigt, wie sehr sich die Geschichte gewandelt und unser Leben eine andere Dimension angenommen hat. Die hier vorgenannten historischen Treppenbeispiele dokumentieren vielfältige Methoden, Ideen und Ausführungen – doch auch ihre Abhängigkeit von architektonischen Stilen und Philosophien. Irgendwie war früher alles ein wenig schmucker, direkter – und vereinte Mode, Architektur, Gesellschaft sowie das Leben als Ganzes.

Mit der angesetzten Globalisierung der Nachkriegszeit, der schnellen Kommunikation, den technischen Fortschritten und wissenschaftlichen Entdeckungen ist alles möglich – und fast alles wird toleriert. Die Geburt der industriellen Formgestaltung ließ die Treppen nicht unberührt. Vorgefertigte Wohnhäuser und Treppen gesellten sich zur Familie der Massenproduktion.

Was auch immer die Zukunft bringen mag, es gilt eine reichhaltige Gegenwart in sich aufzunehmen, zu genießen und zu bewundern. Selbst eine komplizierte Treppe macht nur einen kleinen Teil der gesamten Investition eines Gebäudes aus. Und nach wie vor bleibt den Architekten ein relativ großer Spielraum zum Forschen. Die Frage der Treppe ist wohl nur das Salz in der architektonischen Suppe, doch ohne sie gäbe es so gut wie keine Würze!

Exklusiver Treppenbau im 21. Jahrhundert? Handwerkskunst unserer Zeit von markiewicz finden Sie hier.